Wintzen

Zum Bubbel beij Henze…

Von Manfred Lang
nach Vorarbeit des Stadtarchivs Schleiden

Legendäre „Wietschaff“: Das Gasthaus Henz Ende der 1950er Jahre.


Ein Streifzug durch die Geschichte der Wintzener Wirtschafts- und Gemeinschaftskultur – Idyllisches Dorf zwischen Broich und Olef

Schleiden-Wintzen – In der Eifel und anderen ländlichen Ecken Deutschlands kommt es nicht häufig, aber hin und wieder vor, dass öffentliche Wege mitten durch Bauernhöfe hindurchführen. Links vom Weg Scheune und Stall, rechts das Wohnhaus zum Beispiel.

Das kleine, früher zu Kall und seit der kommunalen Neugliederung zur Stadt Schleiden gehörende Dörfchen Wintzen verfügt sogar über eine Innerortsstraße, die durch ein Wohnhaus führt: Genau genommen durch den Torbau, die sogenannte „Poarz“, eines Fachwerkanwesens.

Überhaupt ist der malerische kleine Ort in einem Tal („Dall“) zwischen Broich und Olef ein Idyll mit gut 80 Einwohnern, Kapelle und einem wunderbaren Talblick. Von Wintzen aus starten zahlreiche Wanderwege in den sechs Kilometer entfernten Nationalpark Eifel. Der berühmte Eifelsteig führt vorbei, viele Touristen durchwandern das idyllisch gelegene Waldgebiet. Nördlich entspringt der Selbach. Wintzen liegt zwischen Hövelberg und Wichelsberg.

„Op Platt“, also in der dort gesprochenen rheinisch-limburgischen Mundart, heißt Wintzen „Wentse“. Den Namen leitet Gerhard Mürkens von „Windhusen“ her, was so viel bedeutet wie „dem Wind ausgesetztes Haus“. Über die Zusammenziehung kam es zu „Windsen“, beziehungsweise in der heutigen Schreibweise „Wintzen“.

  • 1464 erstmals erwähnt

    Et ieschte Mohl urkundlich erwähnt wurde das Dorf („Dörp“) 1464 zusammen mit Brooch (Broich) und Kerpersch („Kerperscheid) als Lehnshof der Schleidener Grafen. Daraus entwickelte sich im Verlauf der Zeit eine kleine Ortschaft. Wintzen ist noch heute von Wald und Pingen umgeben, eingebrochenen Erzgewinnungsanlagen, wie sie im Kaller und Sötenicher Raum gebräuchlich waren.

    Privatunternehmer, oft Vater und Söhne, teuften Schächte ab und förderten aus ihnen im Handhaspelbetrieb in kleinen Beutelkörben Kupfer- und Eisenerz zu Tage. Später brachen die so entstehenden unterirdischen Hohlräume ein und hinterließen die heute auch rund um Wintzen zu findenden Kuhlen.

    1855 erhielten die Fabrikanten Poensgen aus Mauel, ein Bergmann („Berschmann“) aus Kall, der Bürgermeister („Börjemeeste“) von Gemünd („Jemöngk“) und der evangelische Lehrer von Gemünd die Konzession zur Einrichtung eines Kupfererzbergwerks in Wintzen mit einem Grubenfeld von 4000 Morgen im Bereich der Gemeinden Untergolbach, Kall, Broich, Olef, Dreiborn und Gemünd. Nachdem in dem Gebiet auch Eisen („Iese“) gefunden worden war, bewarben sich die Konzessionäre auch um die Eisengewinnung.

    Tatsächlich in Betrieb ging das „Kupferbergwerk Wintzen“ aber nicht, weil Albert Poensgen 1860 nach Düsseldorf verzog. Lediglich auf der „Golbacher Seite“, also östlich des Hauptweges, gab es Gruben und Pingen, in denen traditionell seit Jahrhunderten Eisenerz abgebaut wurde.

    In Richtung Gemünd liegt der „Wackerberg“. Wacke (op Platt „Wagge“) bedeutet so viel wie „grobes großes Felsgestein, das nur schwer zu beseitigen ist“. Dort wurden laut Dissertation des Geologen M. Wemmers Kupfererzgänge in einem einen halben Meter mächtigen Quarzgang im Grauwacken-Gebirge gefunden. Wie der Regionalhistoriker Norbert Toporowsky schreibt, war die Kupfererz-Schicht in der Kaller Grube „Concordia“ zum Vergleich sechs Meter dick.

  • „Wentse“ gehörte zu „Jollepisch“

    1856 führten von Wintzen öffentliche Wege nach Untergolbach, Olef und Schleiden. Der so genannte Leichenweg („Lichewääsch“, „Duedewääsch“ im Gegensatz zu „Duedewaach“ = Totenwache und „Duedeweisch“ = Leichenwäsche) nach Schleiden begann am Haus von Wilhelm Katterbach über einen Fußpfad.

    Wintzen gehörte kommunal zu Golbach („Jollepisch“), aber kirchlich und postalisch zu Schleiden („Schleede“). Die Kinder („Pänz“, „Möx“, „Puute“, „Köngde“, „Männ“) gingen 1935 in Golbach in die zweiklassige katholische Volkschule. Lehrkräfte waren zu der Zeit Peter Schlemmer und Josefine Runge.

    Gewerbebetriebe gab es laut dieser Erhebung im „Hinkenden Boten für den Kreis Schleiden 1935“ keine. Bis 1945 standen in Wintzen elf Häuser („Huuse“, „Hüüse“), seit 2002 sind es 30 Häuser. 1950 kauften Josef und Maria Henz ein vom Krieg („Kreech“) zerstörtes Wohnhaus („Wonnhuus“) und bauten die straßenseitig zerstörten Giebelwände wieder auf. Sebbe Johr spääde eröffneten sie dort eine Gaststätte („Wietschaff“) mit Fremdenzimmern („Jästezömmere“).

    Später wurde die Gaststätte um einen halbrunden Saal erweitert und saniert. Dort wurden jahrelang Dorfkirmes und Familienfeste gefeiert. Das Gasthaus Henz war auch Anlaufstelle für viele Nachbardörfer wie Nierfeld, Olef, Broich und Golbach. „Me kannt sich unn me hollep sich“, man kannte sich eben und half sich auch, Grundlage und Philosophie des rheinischen „Klüngels“…

    Samstags und sonntags wurde Skat gespielt und einmal in der Woche trafen sich die Leute nach Feierabend zwanglos („eefaach esu“) zum „Bubbel“, „Kall“ oder „Verzäll“ (Unterhaltung, Erzählen). Wird „jebubbelt“, plätschert das Gespräch leichtfertig dahin, ganz anders, wenn „e ährnz Wöörtche jesaaht wäre moss“. Wer „jäern de Muuhl schwaat“ (gerne viel redet), will noch lange nicht „van de Sitt ahnjekallt“ werden, dem Eifeler Ausdruck für „Anmache“.

    „Ent Jebött“ (Gebet) genommen wird jemand, der ernsthaft belehrt werden soll. Die Steigerungsform lautet „de Kaanes sähne“ und geht auf einen Bußprediger zurück. „Ne Quatschkopp“ geht leichtsinnig mit der Sprache um, er weiß im Grunde nicht, was er sagt. Ein „Schwaadlappe“ eben, die weibliche Form ist „Trööt“ (Trompete) oder „Schell“ (Handglocke), für beiderlei Geschlecht verwendet man „Schnöss“, auch im Sinne von „Angeber“.

    Nach dem Tod von Josef und Maria wurde das Lokal von ihrem Sohn Günther Henz fortgeführt. Bis zur Schließung im Jahr 1990 war sie der einzige öffentliche Anlaufpunkt in Wintzen, so Jürgen Henz, der Enkel der Gasthausgründer.

  • Aktuell 83 Einwohner

    Aktuell hat das Dorf 83 Einwohner (Stand: Juni 2019), einen Kinderspielplatz und das „Büdchen“ (Dorfgemeinschaftshaus). Es wurde Mitte der 1990er Jahre in Eigenregie („op ejene Fuuß“) der Dorfbewohner auf dem Dorfplatz („Dörepsplaatz“) errichtet.

    Auch die kleine Marien-Kapelle ist Gemeinschaftsarbeit. An der Abzweigung der Dorfstraße („Dörpsstrooß“) von der Stadtstraße nach Olef überließ die Stadt Schleiden den Wintzenern zu diesem Zweck kostenlos eine Teilfläche aus städtischem Besitz. Die Bauplanzeichnung machte Architekt Karl Schieffer, die Statik berechnete Architekt Otto Fiebig.

    Rolf Pielorz planierte die Baustelle, das Unternehmen Gehlen aus Schöneseiffen stellte Material für die Fundamente. Hermann Engels aus Broich schalte ein, Dachdeckermeister Hermann Barth aus Tondorf fertigte Fachwerk und Dach an, brachte es dann nach Wintzen. Günther Henz, Jürgen Henz und Karl Zietz errichteten das Fachwerk vor Ort.

    Karl Reidt mauerte die Innenwände aus und flieste den Boden, die Putzarbeiten erledigte Herman-Josef Peters aus Hecken, Schreinermeister Dieter Joisten aus Nierfeld stellte den Altar her und Schmiedemeister Josef Kronenberg aus Dormagen-Nievenheim das eiserne Tor.

    Entwurf und Ausführung der Buntglasfenster stammen von Glasermeister Manfred Thelen aus Tondorf, die Darstellungen der Erzengel Gabriel und Michael wurden von Professor Dr. med. Wolfgang Bircks gestiftet.

    Die Marienstatue schnitzte Ferdi Junctorius aus Kall, sie wurde von Gerda Melcher gestiftet. Sie brachte auch aus einer Schule in der Schweiz eine ehemalige Pausenglocke als neue Kapellenglocke mit. Die Gesamtkosten betrugen 50.000 Mark. Sie wurden laut Hans-Peter Schiffer aus Einnahmen bei Dorffesten und Spenden der Wintzener finanziert.

    Der Schleidener Pfarrer Phillip Cuck weihte das von so vielen Händen errichtete und aus so viel Spendenbereitschaft und guten Willen zusammengesetzte Kapellchen am 22. August 1993 ein. Dazu verwendete der heutige Eifelvikar Wasser aus dem Jordan, das eine Schleidener Pilgergruppe von einer Reise ins Heilige Land mitgebracht hatte.

    Die Wintzener Ferienwohnung Pielorz wirbt als gemütliche Ferienunterkunft mit Panoramablick. Ihre beiden Ferienwohnungen liegen am Bauernhof. Der einzige Verein im Dorf ist die Dorfgemeinschaft Wintzen e.V.

  • Dä Weng hann se loofe losse…

    In den seligen Zeiten, als das Gasthaus Henz noch der Mittelpunkt im Dorf und auch für andere Orte war, wurde in der nördlichen Eifel zwar auch gerne „e Jläsje Weng“ verkostet, aber die Mehrheit hielt es hierzulande mehr mit vergorenen Produkten der Getreidewirtschaft, vor allem Bier, das bekanntlich aus gemälzter Braugerste („Jäersch“), Hefe („Höff(e)“) und Hopfen („Hoppe“) gebraut wird.

    Ein anderes Getränk aus Roggen („Korn“) hat stark an Beliebtheit eingebüßt, war aber in der Zülpicher Kante einst legendär wie die Kurkölnische Landesburg, auf der „Sieger“ gebrannt wurde und in Eichenfässern zum goldfarbenen „Alten Sieger“ reifte.

    Wein zu panschen war an beiden die Eifel flankierenden Flussläufen, Mosel und Ahr, streng verpönt. Der gelängte Wein wurde in die Gosse verschüttet, der erwischte Winzer für einige Wochen eingesperrt. Wie ungerecht, soll ein Ahrwinzer mal geklagt haben, nachdem er nach drei Monaten „Bou“ wieder am Unterlauf des in Blankenheim entspringenden Flüsschens auftauchte: „Mich hann se enjespäert, äve dä Weng hann se loofe losse…“