Harperscheid

„Chrestemensche överall“

Von Manfred Lang
nach Vorarbeit des Stadtarchivs Schleiden

 Im Januar 1981 zeigt sich Harperscheid im Winterkleid. Schnee ist mittlerweile selbst im Schleidener Höhengebiet ein seltener Gast geworden… (Foto: Elvira Hilgers/SA Schleiden, Bildsammlung)


In „Harpesch“ spielen Konfessionen eine größere Rolle als in vielen anderen Schleidener Highland-Dörfern – Rührige Dorfgemeinschaft, engagierte Menschen und der ewige Zwist mit der Zwillingschwester „Schöneseiffen“

Harperscheid („Harpesch“) und Schöneseiffen („Schönnesiefe“) werden hierzulande meist in einem Atemzug genannt. Auch der 1906 geborene Karl Collas hat seine bekannt gewordene Chronik beiden Orten gewidmet. Das Doppeldorf an der alten Landesstraße von Schleiden nach Monschau wird am 19. Oktober 1322 zusammen mit Bronsfeld erstmals urkundlich erwähnt.

Bei der Kommunalen Neugliederung 1972 kam die bis dahin selbstständige Gemeinde Harperscheid zu Schleiden. Obwohl die Highlander (um 570 m ü. N.N.) eigentlich immer schon zu Schleiden gehörten, erst zur „Herrschaft“ derer von Manderscheid-Schleiden, dann zur gleichnamigen Grafschaft, schließlich zum Kreis Schleiden und bis heute zur Stadt Schleiden.

Die tonangebende Grafenlinie Manderscheid-Schleiden starb mit Dietrich VI. (1560 – 1593) in männlicher Linie aus. Bevor Graf Phillip von der Mark seine Schwester Katharina heiratete und sich der Schleidener Grafschaft bemächtigte, zwang Dietrich VI. seine Untertanen noch, Protestanten zu werden. Mit Johannes Sleidanus und Johann Sturmius kamen bekannte Reformatoren aus dem Schleidener Tal.

Doch im Zuge der Gegenreformation wurden die meisten Schleidener Dörfer wieder katholisch – „Harpersch“ allerdings blieb bis auf den heutigen Tag konfessionell gemischt. Ein Toleranzedikt vom 13. Oktober 1781 erlaubte es den Evangelischen schließlich, ihre Toten mit Gesang und Leichenrede zu bestatten.

  • Täuflinge entführt

    Zuvor waren protestantische Familien auf dem Weg („Wääsch“) zur Kindtaufe („Köngsdööf“) in der Evangelischen Kirche Gemünd („Jemöngk“) häufiger abgefangen und in katholische Gotteshäuser gedrängt worden, wo man ihre Kinder zwangsweise katholisch taufte. Daraus etablierten sich „Schleichwege“, auch „Gösenpfade“ genannt, um diesem Problem zu entgehen. Ein Umweg („Ömmwääsch“) führte über Harperscheid, Schöneseiffen, Berescheid und Herhahn zur Evangelischen Kirche auf der Gemünder Nordseite der Urft.

    Das Verbot, Tote („Du-ede“) nach evangelischem Ritus zu bestatten, blieb in Harperscheid über 1781 hinaus in Kraft. Paul Görres war der erste, der am 28. Februar 1807 auf dem Harperscheider Kirchhof(„Kerchhoff“) öffentlich mit Gesang und Leichenrede beerdigt wurde.

    Bis heute („höck“, „höckzedaahs“) gibt es im Dorf („Dörp“) je eine Kirche („Kerch“) beider christlicher Konfessionen, die sich in der Stadt Schleiden („Schleede“) in den Personen der Pfarrer Erik Schumacher und Phillip Cuck mittlerweile außerordentlich gut verstehen.

    Der Südtiroler Konrad Beikircher, der den Rheinländern in den vergangenen Jahrzehnten ihre Mundart aufgeschlüsselt hat, unterscheidet in seinen Kabarettprogrammen stets zwischen dem „richtigen“, also katholischen und „falschen“ (= evangelischen) Glauben.

    Das gibt einerseits überheblichkeitstechnisch die Mehrheitsverhältnisse in der mehrheitlich katholischen Eifel wieder, andererseits aber auch das schwierige Verhältnis der Rheinisch-Katholischen zu ihren neuen protestantischen Machthabern, als sie 1815 zu Preußen geschlagen wurden. In der „Rheinprovinz“ tobte alsbald der „Kulturkampf“ um den Einfluss der römischen Kirche. 

  • „Blauköpp“ unter bunten Hauben

    „En Wohrheet senn me all Chrestemensche unn hann de selleve Herrjott“: In Wahrheit sind wir alle Christen und beten zum gleichen Heiland und Erlöser… Böse Zungen nennen die Evangelischen übrigens auch im Schleidener Raum „Blauköpp“. Warum genau, weiß kein Mensch. Möglicherweise, weil die evangelischen Frauen ehedem etwas freundlicher gefärbte Hauben zum Gottesdienst trugen, als die in schwarze Kopftücher gehüllten Katholikinnen.

    Wikipedia schreibt: „Harperscheid ist ein Stadtteil im Südwesten von Schleiden im nordrhein-westfälischen Kreis Euskirchen. In Harperscheid wohnen etwas über 420 Personen. Der Ort verfügt über einen Kindergarten, ein Jugendheim, eine Feuerwehrlöschgruppe sowie zwei Kirchen.“

    Während St. Donatus erhalten bleiben soll, steht die evangelische Kirche zum Verkauf. Sie wurde am 5. Januar 2020 durch das Pfarrteam der Trinitatis-Kirchengemeinde Schleidener Tal aufgrund sinkender Kirchenmitgliederzahl und offener Fragen zur Unterhaltung der Gotteshäuser zeremoniell entwidmet.

    „Neben Handwerksbetrieben und Geschäften des täglichen Bedarfs ist im Osten des Orts ein Sägewerk beheimatet“, schreibt das Internetlexikon Wikipedia weiter: „Nördlich der Ortschaft liegt der Campingplatz Schafbachmühle.“

    Ursprünglich hieß „Harpesch“ „Hartmannsroth“, später „Harperrath“: Beides lässt auf die Rodung eines gewissen Hartmann schließen. Als später weitere Ortschaften wie Berescheid („Beresch“) und Ettelscheid („Ettscheld“) in der Nähe entstanden, wurde zum Zeichen, dass Harperrath Grenz- oder Scheideort der Herrschaft Schleiden war, der Name in „Harperscheid“ geändert.

  • Wasch- und Badeanstalt

    Aus dem Jahr 1935 ist eine Bevölkerungsliste erhalten. Damals hatte Harperscheid 358 Einwohner. Es gab zwei Gastwirtschaften (Peter Jansen und Julius Dressen), einen Bäcker (Martin Jansen), die Holzhandlung Karl Gentges, den Klempner Franz Collas, die Kolonialwarenhandlungen Bruno Hörnchen, Geschwister Reder und Rosa Stoff, die Landmaschinenhandlung Rudolf Gentges und vier Schuhmacher: Martin Henk, Peter Poschen, Heinrich Köth und Friedrich Lammenett.

    Außerdem den Schreiner Peter Collas, den Stellmacher August Breuer, den Schmied Wilhelm Pesch und den Zimmerer Leo Henz, so berichtetet der „Hinkende Bote für den Kreis Schleiden“ 1935.

    Unternehmer heute sind Toni Möres (Bäckerei und Lebensmittelladen seit 1997, seit 2001 auch „Tonis Café“ am Busbahnhof in Schleiden), die I.B.H. Sägewerk GmbH von Joseph Haas und Robert Jost mit 45 Mitarbeitern, das Autohaus Hörnchen (Jürgen Hörnchen mit Sohn Ronny Hörnchen), das Autohaus Köth, heute Christian Gehlen.

    Bemerkenswert ist der Bau eines Gemeinschaftshauses mit Wasch- und Badeanstalt nach dem Krieg. Wäschewaschen wurde nach Gewicht berechnet. Die Badeanstalt war nur samstags ab 10 Uhr geöffnet. Brausen/Duschen für Erwachsene kostete 30 Pfennige (heute 74 Eurocent), für schulpflichtige Kinder 20 Pfg., ein Wannenbad 50 Pfennige pro Person, umgerechnet heute etwas mehr als ein Euro.

    Die Badezeit betrug 20 Minuten. Für Badefetischisten, die mit Musik, Schaumbad, Kerzenlicht, was zu Lesen, einem guten Glas Wein und einer teuren Zigarre ins Wasser steigen, heutzutage unvorstellbar kurz. „Bei Überschreitung dieser Zeit werden doppelte Gebühren fällig“, hieß es in einer Verordnung. Länge Baade öss dobbel esu dühr!

    Anfang der 1960er Jahre baute die Gemeinde ein Schlachthaus („Schlaachtes“) mit Gefrieranlage in Schöneseiffen. Daraufhin wollten die Harperscheider auch eins haben. Es wurde mit noch größerer Gefrieranlage gebaut – nicht ahnend, dass bald jeder Haushalt über Kühlschrank und Gefriertruhe verfügen würde.

  • Mittellinie nicht auf der Grenze

    Zwist mit den Schöneseiffener gab es auch nach dem Bau („Bou“) des Sportplatzes („Fooßballplatz“) zwischen den Orten: Nach Fertigstellung stellte man fest, dass die Mittellinie („Meddellenesch“) nicht genau über der Grenze verlief: Harperscheid hatte damit mehr Sportplatz als „Schönnesiefe“.

    Beim Kreis („Krees“) wurde allen Ernstes („em Äer-sch“) die Verschiebung der Gemeindegrenze beantragt, berichtet der Regionalhistoriker Franz Albert Heinen („Eff-aa“) in einem Beitrag zur Schleidener Stadtgeschichte 2004 unter dem Titel „Es ist egal, wer unter ihm Bürgermeister ist“ über den früheren Schleidener Vize-Verwaltungschef Alfred Knips.

    Als das Amt Harperscheid 1972 aufgelöst und in die Stadt Schleiden aufgenommen wurde, kam es zur Ehrung aller bisherigen Ratsmitglieder in den kleinen Ortsgemeinden. Den Wappenteller, so wurde beschlossen, erhielten aber nur jene Kommunalpolitiker, die an mindestens 70 Prozent der Rats- und Ausschusssitzungen teilgenommen hatten.

    Die Bürgermeisterei Harperscheid (später Amt) war 1858 gebildet worden und bestand aus den Dörfern Broich, Bronsfeld, Harperscheid, Schöneseiffen und Oberhausen. Das 1965 gestiftete Amtswappen war zweigeteilt und zeigte in der oberen Hälfte fünf goldene Lilien auf blauem Grund. Sie symbolisieren die fünf Dorfgemeinden. Die untere Hälfte zeigt ein schwarzes Zahnrad mit aufliegender blauer Sense auf silbernem Grund, Symbole für Industrie und Landwirtschaft im Amt Harperscheid.

    Die Lilien fanden auch den Weg ins heutige Schleidener Stadtwappen, es sind allerdings neun geworden - für die Gebietskörperschaften Stadt Schleiden, Stadt Gemünd, amtsfreie Gemeinde Dreiborn, Amt Harperscheid und die fünf amtsangehörigen Gemeinden Broich, Bronsfeld, Harperscheid, Oberhausen und Schöneseiffen.

    Die mehrkonfessionellen Dörfer Harperscheid/Schöneseiffen brauchten nicht nur Kirchen beider christlicher Richtungen, sondern nach damaligem Verständnis zwangsläufig auch zweierlei Schulen. 1819 wurde für die evangelischen Kinder von Harperscheid und Schöneseiffen eine Schule in Harperscheid erbaut.

  • Fräulein Dahmen und Lehrer Stöhr

    Die katholische Volksschule („Volleksschöll“) in Harperscheid wurde 1826 bezogen („betrocke“). Sie verfügte laut „Hinkendem Boten“ 1935 über zwei Klassen, die von Fräulein Käthe Dahmen und Lehrer Josef Stöhr unterrichtet wurden.

    In den 1960er wurde wie an den meisten Schulstandorten des Kreises Schleiden in Harperscheid noch eine neue Volksschule gebaut, ehe 1967/68 das Schulsystem auch in der Eifel vollständig reformiert und zentralisiert wurde. 1973 zog der städtische Kindergarten („Köngdejaarde“) in das ehemalige Volksschulgebäude.

    Die Freiwillige Feuerwehr wurde im Zeitfenster 1931/1932 aus der Taufe gehoben, das erste Gerätehaus („Spritzehüüsje“) befand sich hinter der damaligen Schule. 1975 fusionierten die Löschgruppen Harperscheid und Schöneseiffen. Im selben Jahr wurde das noch heute genutzte Feuerwehrgerätehaus an der Hauptdurchfahrtsstraße Richtung Schöneseiffen in Betrieb genommen.

    Heute hat Harperscheid 424 Einwohner nach 276 im Jahre 1817, 365 anno 1905 und 362 Anfang der siebziger Jahre („sebbezije Johre“) des 20. Jahrhunderts. Das Dorf ist lebendig und verfügt außer über die erwähnten Kirchen und den Kindergarten über einen Dorfsaal („Dörpssaal“), in dem normalerweise rund ums Jahr („et janze Johr öve“) viele Veranstaltungen stattfinden. Es gibt dort auch einen Jugendraum und den am 15. September 2019 eingeweihten Mehrgenerationenplatz mit Grillhütte, Fitnessgeräten und Bouleplatz.

    Harperscheid hat einen tadellosen und sehr informativen Internetauftritt (www.harperscheid.de). Informationen über das Dorf, seine Umgebung und seine Menschen erhält man außerdem in Gottes freier Natur auf Flurkarten, die überall aufgestellt worden sind und die seit 2019 über einen zwölf Kilometer langen Flurschilderwanderweg verbunden sind.

  • „Mertebroch“ und „Stirkeltsberg“

    Das Projekt entstand in Gesprächen („Kall“, „Bubbele“) zwischen alten und jungen Leuten („ahl unn jong Löck“). Auf den Flurschildern werden alte Flurbezeichnungen, Mundartausdrücke, Geschichte und Geschichten erläutert. „Breet Feld“ ist das breite Feld und liegt bei 50°31'11.9"N 6°25'10.4"E, „Op Weegefeld“ ist mit „Auf Weidenfeld“ übersetzt worden und die hochdeutsche Flur „Zwischen Mettligerseifen“ heißt auf Platt „Mechersief“.

    Hinter einem solchen heimatkundlichen Projekt und dieser genialen Webseite muss natürlich eine ausgesprochen rührige Dorfgemeinschaft stecken, in dem Fall der Dorfgemeinschaftsverein Harperscheid e.V. mit dem Vorsitzenden Gerd Breuer und seinem Stellvertreter Dirk Hörnchen.

    Der Jugendclub (Jugendclub@harperscheid.de), der unter anderem die Altpapierverwertung im Ort organisiert und koordiniert, strebt seine Anerkennung als Verein an. Er wird vom Vorsitzenden Paul Cordel und seiner Stellvertreterin Mara Möhrer geleitet.

    Regelmäßige Veranstaltungen im Dorf sind das Erntedankfest mit traditionellem Erntedankzug ab Autohaus Köth durch die Straßenzüge Richtung Schöneseiffen zum Bürgerhaus und kunstvoll geschmückten Wagen („Wäähn“), traditionell gekleideten Fußgruppen und originellen Zuggefährten. 2022 jährt sich der Umzug zum 60. Mal.

  • Erntedank und Liebesgaben

    Dä Erntedankzoch jitt et dann zönk 60 Johr - äve häer öss net jed Tour jejange. Och 2020 wäje Corona net! 2022 wird es deshalb (hoffentlich) den 57. tatsächlich durchgeführten Erntedankzug in „Harpesch“ geben. Zu Ostern und Weihnachten werden alle zwei Jahre Bälle („Tanzveranstaltung“) veranstaltet – im turnusmäßigen Wechsel mit Schöneseiffen. Die Kirmes feiert hingegen jeder für sich. „Datt han die zwei Dörper trotz miedere Aahnlööf böss jetz net henkreije!“

    Früher muss es noch eine Reihe mehr Vereine im Dorf gegeben haben, wie eine Zeitungsnotiz zur Zeit des 1. Weltkrieges vom 6. Januar 1915 im „Unterhaltungsblatt und Anzeiger für den Kreis Schleiden und Umgegend (Amtliches Kreisblatt)“ belegt: Unter der Überschrift „Liebesgaben des Obstbauvereins Harperscheid und Schöneseiffen für die Front“ steht: „Harperscheid, 4. Jan. Wie allerorts in der jetzigen schweren Zeit besonders von Vereinen große Opfer für vaterländische Zwecke aufgebracht werden, so hat auch der Obstbauverein von Harperscheid und Schöneseiffen unter der bewährten Leitung des Herrn Lehrers Scheeben sich in den Dienst der guten Sache gestellt.“

    Und weiter: „Auf Anregen des Leiters wurde von den Mitgliedern des Vereins, denen sich aber auch fast alle Bewohner der beiden Ortschaften angeschlossen hatten, eine Kartoffelsammlung veranstaltet und von dem Erlös im Betrage von über 300 Mark teilweise Wolle gekauft, welche von den hiesigen Mädchen unter der sorgfältigen Führung der Lehrerin Fräulein Becker zu allerhand noch mangelndem Unterzeug nach dem Wunsche eines jeden hiesigen im Felde stehenden Kämpfers verarbeitet und dann nach der Front befördert wurde.“

    Von dem übrigen Teil der Spende wolle man nach und nach kleinere Pakete mit Esswaren und anderen nützlichen Dingen „an unsere Braven ins Feld“ senden: „Wie groß die Arbeit ist für das Herbei-  und Fortschaffen kann man sich denken, zumal Harperscheid und Schöneseiffen bis jetzt schon 61 Krieger stellen, welche alle bereits 3 und 4 Pakete erhielten. Groß aber auch sind die rührenden, zahlreich einlaufenden Dankesschreiben unserer Tapferen, besonders da die Sachen aus der Heimat kommen.“

    Das Blatt dankt „Herrn Lehrer Scheeben und Fräulein Lehrerin Becker … für ihre Mühewaltung“, aber auch dem Bienenzuchtverein und dem Kirchenchor, die ebenfalls mitgeholfen haben.