Brooch om Bersch unn em Bösch
Von Manfred Lang
mit Vorarbeit durch das Stadtarchiv Schleiden
Woher kommt der Ortsname Broich, op Platt „Brooch“ ussjesprauche? Die Sprachwissenschaft und Ortsnamenskunde deutet Namen und Endung „-broich“ („mit nicht zu sprechendem Dehnungs-i“) als Begriff für eine Bruch- oder Sumpflandschaft.
Orte mit diesem Namen oder Namensteil kommen vorwiegend im Rheinland vor. Das trifft auf Broich auf der Höhe zwischen Sistig/Krekel und Schleidener Tal voll zu: Brooch litt om Bersch unn em Bösch.
Wikipedia klärt uns über die wichtigsten Fakten folgendermaßen auf: „Broich ist ein südöstlicher Stadtteil von Schleiden im nordrhein-westfälischen Kreis Euskirchen. Nördlich der Ortschaft entspringt der Geisbach, südlich der Golbach. Westlich der Ortschaft schließt sich die Broicher Höhe an. In Broich befindet sich ein Dorfgemeinschaftshaus. In Broich wohnen etwa 380 Personen.“
Und weiter: „Im Ort befindet sich ein Sägewerk. Zudem ist dort das Schallplattenlabel CUE Records sowie das Tonstudio LIQUID AETHER Audio ansässig. Außerdem leben dort einige Künstler.“ Und schließlich: „1464 wurde Broich zusammen mit Wintzen erstmals urkundlich erwähnt… In Broich verkehrt Linienbedarfsverkehr. Die nächsten Autobahnanschlussstellen sind Bad Münstereifel/Mechernich oder Wisskirchen auf der A 1 und Aachen-Lichtenbusch auf der A 44.“
50 Grad, 31 Minuten Nord, 6 Grad, 30 Minuten Ost
Das ist keine erschöpfende Auskunft für so ein bedeutendes Fleckchen Eifel. Datt Brooch om Bersch unn em Bösch (Wald) litt und über einen eigenen Funkturm verfügt, ist weithin sichtbar. Die exakten geographischen Koordinaten lauten 50° 31′ 21″ N , 6° 30′ 9″ O. Die Postleitzahl ist wie im übrigen Schleidener Stadtgebiet 53 937, der höchste Punkt liegt auf 523 Metern Meereshöhe.
Aus dem Schleidener Stadtarchiv gibt es weit mehr zu berichten (verzälle). Zum Beispiel, dass das weithin bekannte ortsansässige Unternehmen „Hilger Holz“ (2019 mit Hauptsitz nach Kall verlagert) 1948 von „Hellije Pitte“ (Peter Hilger) zunächst als Lohnschnitt-Sägerei auf privatem Hof mit Schuppen (Schopp) in Broich gegründet und vier Jahre später zum Selbstankauf, Verschnitt und Verkauf von Rundhölzern erweitert wurde.
1971 entstand das seinerzeit „neue“ Sägewerk in Broich mit Sägewerkshalle, Sägemehlsilo, Vollgatter mit Breitenverstellung und Brettsortieranlage, das mittlerweile auch Geschichte ist.
Das Familienunternehmen „Hilger Holz“ wird heute in der dritten Generation von Martin Hilger, einem Enkel des Firmengründers, geführt. Peter Hilger starb 2005 mit 90 Jahren. Was nicht als einziges Indiz für die Langlebigkeit der Broicher gewertet wird. - Wilhelm Hilger starb 2019 im Alter von 101 Jahren, Albert Leyendecker sen. wies ein ähnlich hohes Alter auf.
Wobei das biologische Alter hierzulande nicht als Indikator für das gefühlte Alter gilt: „Me öss esu alt, wie me sich föhlt“ oder noch präziser: „Me öss su alt, wie me sich ahnföhlt“ (Man ist so alt, wie man sich anfühlt). Womit zart und leise angedeutet ist, dass amouröse Angelegenheiten kein Vorrecht der Jugend sind. Denn gerade „ahl Schüüre“ (alte Scheunen) „brenne joot“. Zumal dann, wenn „se Führ jefange hann“ (Feuer gefangen haben). Löschversuche sind meist sinnlos…
„Der hinkende Bote“, ein regionaler Landkalender aus dem Jahr 1935, schreibt, Broich habe 146 Einwohner und gehöre zur Pfarre Schleiden. Dorfschulze war zu der Zeit W. Rodenbüsch, die örtliche Gastwirtschaft („Wiertschaff“) betrieb Heinrich Hilger. Als weitere Gewerbetreibende werden der Kolonialwarenhändler Heinrich Hilger und der „Schrenge“ (Schreiner) Josef Joisten angegeben.
Schreiner und Sägewerker standen übrigens Pate („Patt“, Patin = „Jött“) für eine schalkhafte Geste beim Bierbestellen. Dabei hebt man zu den Worten „Fönnef Bier für et Säjewerk…“ (oder eben die „Schrengereij“) eine Hand empor, in der Mittel- und Ringfinger dezent nach innen geklappt sind, also scheinbar fehlen. Tatsächlich kenne ich Angehörige mit scharfen Gegenständen hantierender Berufe, denen die eine oder andere Gliedmaße abhanden gekommen ist . . .
Bittbriefe an die Königlich Preußische Regierung
Woran sich Lehrer Oßmann die Finger verbrüht hatte, der die Kinder aus Broich und Kerperscheid schon vor der Wende zum 20. Jahrhundert „en de Brooche Voleksschöll“ unterrichtete, ist nicht überliefert. Nur, dass er 1904 aus dem Dienst entlassen wurde, „da es ganz ausgeschlossen ist, dass derselbe jemals wieder nach Broich als Lehrer zurückkommen kann“.
„De Schöll“ ist übrigens heute Dorfgemeinschaftshaus und Austragungsort zahlreicher Festivitäten. Der „Schöllhoff“ der Broicher Volksschule dient jetzt als Dorfplatz mit Spielplatz. „Ahn- unn ömmjebout“ wurde „de „Schu-el“ 1958/1960. Der eingeschossige Anbau enthielt neben einer Vorhalle Lehrerzimmer (Lehrezömme), Toiletten (Schöll-Kloos, Jonge- unn Mädchekloos), Pausenhalle (Pausehall), Geräte- und Abstellraum (Kabuff).
Die finanzielle Lage der selbständigen Gemeinde („Jemeen“) Broich, die zum Amt („Amp“) Harperscheid („Harpesch“) gehörte, dürfte nicht immer so rosig gewesen sein, wie in diesen Wirtschaftswunderjahren. Das Stadtarchiv hat Niederschriften damaliger Gemeinderatssitzungen („Jemeenderootssitzunge“) im Bestand, in denen von Bitt- und Bettelbriefen des Schulvorstandes an die Königliche Preußische Regierung die Rede ist, man möge Mehrkosten für die Ausschreibung der vakanten Lehrerstelle während des Ersten Weltkrieges doch bitte übernehmen.
Die Anschaffung eines Lichtbildapparates für die Schule mit Verdunkelungsanlage im Jahre 1933 wird in der Broicher Schulchronik als extra erwähnenswert festgehalten. Es gibt zahlreiche Fotos, auch zu diesem Ortsportrait, die die Lehrer Oßmann und Küpper mit ihren Klassen und Oßmann mit seiner Schwester vor dem Schulgebäude zeigen.
Der Lehrerberuf war seinerzeit in der Eifel nicht hoch angesehen. Oft mussten sich die Unterrichtenden noch als Küster („Offermann“) und/oder Organist, Imker, Schuster und dergleichen Zubrot verdienen – oder sie waren „Kausjänge“ (Kostgänger) in den Familien ihrer Schüler.
Lehrersch Köngde senn schlääch ertrocke
Das Sprichwort „Patuersch Köh, Lehresch Pänz und Schustesch Schohn durre net“ (taugen nichts) bescheinigt den damals das Kirchenland noch selbst beackernden Geistlichen, dass sie keine Ahnung von Landwirtschaft und Viehzucht haben, Lehrern, dass sie nichts von Erziehung verstehen und Schuhmachern, dass sie ihr eigens Schuhwerk nicht in Schuss halten.
„En de Schöll ze john“ war jedenfalls auch früher nicht der Traum (Drohm) jeden Kindes. Der Liedermacher Günter Hochgürtel („Eifel-Troubadour“, „Wibbelstetz“, „Eifel-Gäng“) hat das in seinen Liedern thematisiert. Da ist vom „Abhauen“ („Eenes Daahs benn ich fott“) und zum Zirkus gehen („Nempt mich mött op die Rees“) die Rede – „statt iewisch en de Schöll ze john“.
Im Armenhaus Preußens, „Preussisch Sibirien“, flogen noch vor etwas mehr als hundert Jahren „de Mösche om Röcke, dat se et Elend net sooche“, also die Spatzen im Rückenflug über den armseligen Landstrich, damit sie des Elends auf der Erde nicht ansichtig wurden.
Gerne behauptet der Eifeler von sich selbst, er sei in einem Lexikon als „kleines, krummbeiniges und diebisches Bergvolk“ charakterisiert worden, was aber nicht stimmt, um diesem Gerücht ein für alle Mal den Boden zu entziehen.
Allerdings lesen wir im Brockhaus, Leipzig, 1883, tatsächlich die wenig schmeichelhaften Zeilen für den Kreis Schleiden und Umgebung: „Die Eifel ist ein rauer, unfruchtbarer Landstrich . . . von düsterem Aussehen, mit sehr wenigen, meist unfreundlichen Dorfschaften, die von armen, größtenteils wenig gebildeten, aber treuherzigen und genügsamen Menschen bewohnt wird.“
Die solcherart verbal geohrfeigten Landsleute in Broich und anderswo haben sich längst von Schmähungen erholt. Sie sind zu selbstbewussten Talsperren-, Naturpark- und Nationalparkbesitzern geworden, die wochenends und in Urlaubszeiten den Nachfahren derjenigen Asyl gewähren, die sich früher so erhaben dünkten über die treudoofen Eifeler. Als da wären Ööcher, Kölsche, Bönnscher und wo sie alle herkommen…
In Broich tragen Kunst und Kultur zu dem erheblich gestiegenen, aber keineswegs übersteigerten Selbstbewusstsein bei. Man ahnt es schon, wenn man von der Existenz gleich zweier Tonstudios/Plattenlabels im 400-Seelen-Dorf bei Wikipedia liest: CUE Records wurden 1990 von Joerg Strawe gegründet, der selbst bis Mitte der 1990er Jahre elektronische Musik für Fernsehproduktionen im In- und Ausland komponierte.
Das Tonstudio LIQUID AETHER Audio wurde 2001 durch Mario Dahmen aus der Taufe gehoben, der selbst musikalisch in der Band „The Arcways“ spielt. Er ist Tontechniker, Produzent, Musiker, Gitarrist und Schlagzeuger. Außerdem beherrscht er die Produktion synthetischer Klänge am Synthesizer.
Es ist Kunst, „en ennem rongde Ruuhm en en Eck ze treffe“
Dahmens Ziel ist es, Künstlern ohne Plattenvertrag eine professionelle Arbeitsweise sowie einen eigenständigen Sound zu ermöglichen. Seine Kunden kommen aus Deutschland, Frankreich, den USA und den Niederlanden nach Broich.
„Konns“ (Kunst) ist es laut Eifeler Sprichwort, „en enem rongde Ruuhm en en Eck ze speije“ (in einem Kreis in die Ecke zu spucken). Will sagen: Kunst vermag Außerordentliches. „Konns“ versetzt wie der Glaube Berge und öffnet neue Perspektiven. Dem kommt die Höhenlage Broichs sehr entgegen.
Der Künstler Wulf Sicher schuf dort ein Atelier komplett aus Lehm und formt Bilder und Skulpturen aus Lehm. 2004 eröffnete das Künstlerehepaar Bernd und Sonja Sommer die „Gezeitenpumpe“ als Ort für zeitgenössische Kunst. Musik, Literatur, Theater und Bildende Kunst stehen mehrmals im Jahr im Mittelpunkt von Veranstaltungen im alten Bauernhof („Buure Hoff“, „Jehöösch“, „Dönge“).
Ein jährlich stattfindendes Event, nämlich „Kunst in Broich“, bezieht auch die Vorgärten der Einwohner mit ins kulturelle Geschehen ein. Ausstellen dürfen dann auch Künstler von außerhalb. Ihre Werke werden unter anderem im Sägewerk oder in Scheunen ausgestellt, wo die Kunst eine ganz eigene Wirkung entfaltet.
„Över Brooch“ berichten ausweichlich des Schleidener Stadtarchivs auch häufig die Medien. Dabei geht es in Zeitungs- und Fernsehbeiträgen immer wieder um die Kunst, aber auch um das dörfliche Brauchtum, wie die Kirmes und das so genannte „Saufest“.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es handelt sich um ein „Sau-Fest“, nicht um ein „Sauf-Fest“, wobei letzteres auch nicht ganz abwegig wäre, weil alkoholische Getränke in Broich und Umgebung bei Veranstaltungen der unterschiedlichsten Art in ausreichender Menge konsumiert wurden und werden.
Kirmes, Deschbuud und ein „Schützenfest für Arme“
Bier „süff me“, „Schabau petsch me“ (Schnaps). Für die Kinder („Pänz“) gibt es heutzutage „Limenad“, früher „Kletschwasse“ (aus Lakritz = Kletsch). Damen (die Fraulöck, Einzahl: das Fraumensch n.) nippten auch gern am Eierlikör „mött unn ohne Hahnepeck“ (Blutfleck im Eidotter, Keim neuen Lebens, im Eierlikör durch einen Tropfen Aufgesetzten markiert).
Aber das Broocher Saufest diente ehedem als „Schützenfest für Arme“ dem Zerschießen eines aus Gips modellierten Schweines, das mit Pfennigen gefüllt war. Der Wettbewerb konnte mehrere Tage dauern, ehe der letzte Gips-Rest mit gezieltem (Luft-) Gewehrfeuer von der Wand gefegt war.
Der Schütze, der „de letzte Ress vom Schötzefess“ wegputzte, wurde zum „Sau-Köning“ (Saukönig) gekrönt. Die Preise (Pries) für die anderen wurden je nach Anzahl der herausgeschossenen Pfennigmünzen (Penninge) vergeben. Heute kommt die Dorfgemeinschaft (et Dörp) ohne Sauschießen aus. Im Festzelt auf dem Dorfplatz wird bei Selbstverpflegung Zusammenhalt gepflegt und demonstriert.
Zu den Broicher Eigentümlichkeiten gehört auch die „Deschbud“ (wörtlich „Tischbude“, Jugendraum) mit Theke und zwei Sitzbänken im ehemaligen Feuerwehrgerätehaus. Die Floriansjüngerschaft (Löschgruppe) hat sich 1970 aufgelöst. Die Wehr hatte in den Weltkriegen viele gefallene Kameraden zu beklagen, an die das Kriegerdenkmal Richtung Wintzen erinnert.
Zum örtlichen Vereinsleben zählen der Verein zur Erhaltung des Dorfgemeinschaftshauses Broich e. V. und der 2007 gegründete TSC (Tanzsportclub) „Broicher Böschmüs“ e.V., der sich der Jugendförderung im karnevalistischen Tanz verschrieben hat.
„Die Eifel ist ein herrliches Jagdrevier“, so soll Kaiser Wilhelm II. einmal gesagt haben, „nur schade, dass dort Menschen wohnen.“ Trotz aller Armut und Rückständigkeit, sprachlich gesehen ist in Broich wie im übrigen Stadtgebiet und ganz „Preußisch Sibirien“ bis auf den heutigen Tag geben seliger denn nehmen.
Geben heißt je nach Eifel-„Kante“ „jänn“, „jönn“, „jäer“, „jäe“, „jävve“ oder „jövve“. Da der Eifeler nicht unbedingt mit materiellen Gütern gesegnet war, gab er weniger im direkten, aber vielmehr im übertragenen Sinne gern und reichlich: „Häer joof mir enne anne Uhr, doh hann ich ömm tirek enne retour an e Back jejeffe.“ „Klatsch ane Back“ gehörte auch zum Broocher Brauchtum…